Rosinenpicker Nr. 4, vom 03. Juni 2005

von Karl G. Mund

Die deutschen Protestanten hatten in der vergangenen Woche ihren Kirchentag in Hannover, den 30. seit 1949, ein Mega-Event für Presse, Funk und Fernsehen. Das Wetter war auch prima, viele junge Leute waren gut drauf. Neu war diesmal die positive Betonung von Spiritualität. Der Geist der Religion ist wieder gefragt, weniger die Ordnung und die mit ihr verbundenen Riten. Individuelle Wege zum Verständnis von Welt, Geist und Gott und die Freiheit des Denkens, das Gefühl einer neuen Gemeinsamkeit und der gemeinsamen Verantwortung für die Gemeinschaft suchen nach neuen Ausdrucksformen. Die Organisation Kirche versucht das noch unter ihrer Kontrolle zu behalten, ob das gelingt, bleibt offen.

Die Yeziden in Deutschland tun sich noch schwer, ihre Gemeinschaft so zu präsentieren, ist ja auch nicht einfach für nur 35000, die übers ganze Land verstreut sind, da scheint ein Yeziden-Tag schwer vorstellbar, auch wenn das eine herzerwärmende Idee ist. Aber die Riesen haben schließlich auch mal klein angefangen. Da gäbe es eine gute Gelegenheit, die Yeziden bei den anderen Religionsgemeinschaften bekannter zu machen. 2006 gibt es den Katholikentag in Saarbrücken. Dort gibt es ja ziemlich viele gastfreundliche Yeziden, die dem Vorbereitungs-Komitee anbieten können, Gäste des Katholikentages bei sich übernachten zu lassen, und dabei kann man sie über Wesen und Geschichte der Yeziden informieren. 2007 wird zum 31. evangelischen Kirchentag nach Köln eingeladen, da gibt’s auch recht viele Yeziden. Und bei beiden Veranstaltungen gibt es den „Markt der Möglichkeiten“ wo auch nichtchristliche Gruppen ihre Projekte präsentieren können. Ich habe zwischen 1969 und 1989 an solchen „Märkten“ teilgenommen, z.B. um Broschüren unters Kirchenvolk zu bringen, an deren Herstellung ich beteiligt war. War viel Arbeit, hat aber auch viel Spaß gebracht.

Zurück zur Spiritualität. Ich verfolge mit wachsendem Interesse die Diskussion dazu in USA. Da finden sich über die Konfessionsgrenzen hinweg Leute, die erkannt haben, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Sie wollen die Besinnung auf religiöse Wurzeln nicht als Mittel zur Untermauerung der gegenwärtigen Machtverhältnisse benutzt sehen, sondern zur Errichtung einer gerechteren Gesellschaftsordnung, die nicht mehr Teile der Gesellschaft ausgrenzt sondern die spirituellen Fähigkeiten aller Bürger sammelt und damit für das Gemeinwohl nutzbar machen will. Wenn das in Nordamerika sich durchsetzt und die bestehenden Verhältnisse zum Tanzen bringt, könnte das auch positive Auswirkungen auf die Länder des Nahen Ostens haben. Wenn dort Juden, Christen, Moslems, Buddhisten und Hindus sich gegenseitig zu ihren religiösen Feiern einladen, dann werden traditionelle Feindschaften und Ausgrenzungen abgeschafft. Danach entfällt auch die Geschäftsgrundlage für Guantánamo und Hegemonialkriege.

Es gehört vielleicht weniger zum Thema „Spiritualität“ dass man streitet, ob man nun „Tausi Melek“ sagen muss, oder ob man auch „Melek Taus“ sagen darf. Serhat Ortac, der den zweiten Begriff benutzt, hat nun auch herausgefunden, dass es im „Qewlê Padşay“ heißt: „Melekê Tawis kire serwer e / Padşê min rebê Adem e . . .“ so dass es anscheinend keine verbindliche Festlegung gäbe. Nun mag es ja sein, dass es in unterschiedlichen Regionen Kurdistans unterschiedlich Traditionen gibt, auch was einen Engelsnamen betrifft. Für mich, der ich nicht in einer yezidischen Tradition aufgewachsen bin, erschließt sich aus solch unterschiedlicher Benennung kein wirkliches Problem, ich lasse mich da aber gern von kompetenter Seite belehren, lege aber Wert darauf, dass ich diese Belehrung nachvollziehend begreifen kann. Was ich nicht begreifen könnte, wäre, dass anhand der Position in solch einer Streitfrage entschieden werden soll, wer ein guter oder schlechter Yezide sei. Es gibt ja auch zum Glück keinen yezidischen Papst mit Unfehlbarkeitsanspruch in Glaubensdingen. Aber in den monotheistischen Religionen des Nahen und Mittleren Ostens, also etwa von Zarathustra bis Moses ist die Benennung des Göttlichen häufiger etwas heikel und bis aufs Kleinste dogmatisch geregelt, und darauf sollte mensch, wenn es denn so etwas wie eine verbindliche Sprachregelung gibt, auch Rücksicht nehmen.

Zum Schluss noch eine persönliche Meldung: Meine Sportsfreunde von Hapoel Bnei Sakhnin (siehe Rosinenpicker Nr. 2) haben am letzten Wochenende den Klassenerhalt in der ersten Fußballliga Isreals geschafft und sind nun weiterhin Identifikationsfiguren für 1 Million Palästinenser in Israel, und in der kommenden Saison werden sie auch ihre Heimspiele im neu erbauten Stadion der kleinen Stadt Sakhnin bestreiten können.

Im nächsten Rosinenpicker geht es um die Intellektuellen des Nahen Ostens in einem Diskurs zweier Philosophen aus Teheran und Jerusalem, Kurdistan liegt da ja irgendwo in der Mitte. Den langen Text muss ich in den nächsten Tagen noch fertig übersetzen.

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