Rosinenpicker Nr. 17, vom 18. Juli 2006

von Karl G. Mund

 

Ich habe einen Traum - war es nur ein Traum?

Komischer Traum, das. Da döse ich so in der Mittagshitze, und auf einmal sehe ich mich in Berlin, im Kanzleramt.

Es ist Freitag Nachmittag, der 14. Juli. Der große Konferenzraum ist leer, nur Angela und ich sind anwesend. Keine Ahnung, wo die anderen Gäste sind, müssen wohl alle nach Paris gejettet sein, von wegen Erstürmung der Bastille.

„Also“, flötet sie, „Herr Mund, da außer Ihnen niemand gekommen ist, werden wir wohl einen Dialog versuchen, damit die Zeit wenigstens nicht verschwendet wird. Meine Mitarbeiter haben mich informiert, dass Sie intensiven Kontakt mit Bürgern yezidischer Religion haben. Da können Sie ja vielleicht ihre Beobachtungen schildern, wie es bei dieser Gruppe Menschen steht um Integrationsfähigkeit und Integrationsbereitschaft.“

„Gern, Frau Bundeskanzlerin. Ihre Mitarbeiter werden Sie ja sicher darüber informiert haben, dass es sich bei den Yeziden um eine sehr alte monotheistische Religion handelt, die in den letzten knapp 1400 Jahren durch die räumliche Situation inmitten einer zeitweise sehr militanten islamischen Umgebung mancherlei Anfeindung und Verfolgung ausgesetzt waren. Auf alle historischen, politischen und religiösen Aspekte einzugehen, würde den Rahmen dieses Gespräches sprengen. Das können Sie im Internet bei www.yeziden-colloquium.de und www.yeziden.de jederzeit nachlesen bzw. von ihren Mitarbeitern nachlesen lassen. Diese Situation hat sich in den letzten 3 bis 4 Jahrzehnten verschlimmert, was neben anderen Ursachen auch damit zu tun hatte, dass der Gebrauch neuer Kommunikationsmittel auf dem Gebiet des Kraftverkehrs wie auch dem der Telekommunikation eine räumliche Abkapselung wie vordem nicht mehr wirksam war für das Überleben dieser Volksgruppe in ihrem angestammten Heimatgebiet. Der Rückzug in die Unwegsamkeit der kurdischen Berge bot keinen ausreichenden Schutz mehr.“

„Warum sind sie dann aber gerade nach Deutschland gekommen?“

„Die ersten nutzten die Anwerbung als Gastarbeiter, um nach Deutschland zu kommen. Hier konnten sie erstmals in ihrem Leben sich frei zu ihrer Religion bekennen. Sie ließen Familienangehörige nachkommen und bildeten an verschiedenen Orten kleine Gemeinschaften. Die islamisch bestimmten Heimatländer ließen sie auch gerne ziehen, wurden sie so doch auf eine bequeme Art eine Menschengruppe los, die sie zumindest subjektiv als störend empfanden. In den wichtigsten Herkunftsländern Türkei, Irak und Syrien wurde spätestens seit Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts gezielt auf eine ‚ethnische Säuberung’ hingearbeitet, die Methoden waren zwar unterschiedlich, der Zweck wurde aber erreicht: yezidische Siedlungen verödeten und wurden mit muslimischen Bürgern zum wichtigen Teil neu besiedelt.“

„Und warum nahmen sie den weiten Weg nach Deutschland? Konnten sie nicht in die Nachbarländer ausweichen?“

„Nun, Frau Bundeskanzlerin, als die yezidische Immigration nach Deutschland begann, war ja die Welt noch in das westliche und das östliche Lager aufgeteilt. Und wie wenig aufnahmebereit und wie undurchlässig das östliche Lager war, muss ich Ihnen ja wohl nicht erläutern. Die westlichen Bundesländer Deutschlands waren mehr oder weniger der naheliegendste Zufluchtsort für Yeziden aus der Türkei. Einige wenige blieben in Österreich, aber der Westen Deutschlands war wegen der schon vorhandenen Gastarbeiter halt besonders geeignet, und die Yeziden hatten als fleißige Arbeiter bereits einen guten Ruf. Einer der Politiker, die dies schon früh erkannt hatten, war Ihr Parteifreund Ernst Albrecht, der Vater der gegenwärtigen Sozialministerin.“

„Ja, ja, davon hat mir Frau von der Leyen erzählt.“

„Ältere Yeziden erzählten mir, dass sie sich noch vor 20 – 25 Jahren ‚zu Gast bei Freunden’ gefühlt hätten. Sie hatten Arbeit, und sie hatten das Gefühl, dass die Menschen hier in Deutschland recht zufrieden damit seien, dass die Mehmets und Husseyns die Straßen und Abwassersysteme reinigten, kurz all die Arbeiten verrichteten, wie sie der Journalist Günter Wallraff in seinem Buch ‚Ganz unten’ beschrieben hatte, und ihre Frauen und Töchter putzten die Böden von Krankenhäusern und Büros. Dann aber wurden immer mehr Arbeitsplätze in großen Unternehmungen abgebaut und einheimische Arbeitslose glaubten in immer größerer Zahl, dass die ImmigrantInnen ihnen die Arbeitsplätze nahmen, wobei einige kurzsichtige PolitikerInnen und manche JournalistInnen der Boulevardpresse ihnen noch applaudierten.“

„Nun haben Sie immer noch nichts von Integration berichtet.“

„Da gibt es auch nur wenig zu sagen, Frau Bundeskanzlerin. Sicher, es gibt mustergültige Vorzeigeprojekte, Initiativen von einigen unermüdlichen Idealisten. Aber was allgemein fehlt, ist die Perspektive für die ImmigrantInnen. Sie hören hauptsächlich Forderungen, aber sie spüren kaum Forderungen. Was nützt denn auch viel guter Wille von beiden Seiten, wenn ImmigrantInnen sich von Duldungstermin zu Duldungstermin hangeln müssen. Wenn sie sehen, wie eine scheinbar gefühllose Bürokratie Familien auseinanderreißt, weil angeblich im Kosovo alles in bester Ordnung sein soll. Dann kommen Kinder, die zum Teil schon in Deutschland geboren sind, neben deutsch nur Roma sprechen aber weder serbisch noch albanisch, zwangsweise in ein ihnen völlig fremdes Land. Und ihre yezidischen Nachbarn fragen sich, wann es bei ihnen so weit ist, weil jetzt schon maßgebliche Behördenleiter, Politiker und auch hohe Richter glauben, dass sie gut wieder dort leben könnten, woher sie bzw. ihre Eltern einst geflüchtet sind.“

„Können Sie Ihre hier gemachten Anschuldigungen beweisen, Herr Mund?“

„Ich denke schon, Frau Bundeskanzlerin. Ich habe rein zufällig die jüngste Dokumentation des yezidischen Zentrums in Oldenburg zur Lage der Yeziden in der Türkei mitgebracht. Das ist ein eindrucksvoller Text, der zudem so kompakt ist, dass er die Aufnahmefähigkeit der von allzu vielen Statistiken gestressten PolitikerInnen nicht überfordern dürfte. Und ich möchte zum Thema Integration noch etwas hinzufügen, was, wie mir scheint, bei dieser Debatte häufig vergessen wird: es sind nicht nur die MigrantInnen, von denen Integration zu fordern und zu fördern ist, sondern auch die UreinwohnerInnen des aufnehmenden Landes. Auch die müssen befähigt werden, mit Menschen zusammenzuleben, die einen anderen Erfahrungshintergrund mitbringen. Auch diese Integration muss in der Familie beginnen. Da hätten alteingesessene deutsche Mütter und Väter die vornehme und verantwortungsvolle Aufgabe, ihre Kinder zur Offenheit gegenüber Kindern mit einem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund zu erziehen. Wenn das, um einen Ausspruch ihres politischen Mentors Helmut Kohl zu zitieren, in diesem unserem Lande geschehen wird, könnten wir uns auf blühende Landschaften gefasst machen. Dann muss niemand mehr Angst haben, dass es ihm oder ihr mal schlechter gehen wird.“

„Könnte Ihrer Meinung nach die phänomenale Stimmung während der Wochen der Fußballweltmeisterschaft zur Förderung der Integration beitragen?“

„Ihr Wunsch, Frau Bundeskanzlerin, sei allen Behördenleitern Befehl. Deshalb möchte ich zum Schluss noch an einen weiteren ihrer Parteifreunde erinnern, den Alt-Bundespräsidenten Roman Herzog. Vielleicht waren diese sportlichen Wochen der Ruck, der nach seinem Wunsche durch dieses Land gehen muss. Hoffen wir nur, dass niemand sich dabei verhoben hat, vor allem nicht die PolitikerInnen.“

„Vielen Dank, Herr Mund, für Ihre mitunter unbequemen Gedankengänge.“

„Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, Frau Bundeskanzlerin, meine Einsichten mit Ihnen teilen zu dürfen.“

Ich erwachte und sah, wie die Deutschlandfahne am Schlafzimmerfenster meiner christdemokratischen Nachbarin, die vom Alter her Angela Merkels Mutter hätte sein können und auch sicher gern gewesen wäre, genau wie vorher schlapp in der schwül-heißen Sommerluft hing.


Karl G. Mund

 

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