Rosinenpicker Nr. 21, vom 08. November 2006

von Karl G. Mund

 

Einer der Freunde beim Forum von Dengê Êzîdiyan machte mich aufmerksam auf ein Interview mit Dr. Christine Allison auf der Website der Journalistenvereinigung IWPR (institute for war & peace reporting / Institut für Berichterstattung über Krieg & Frieden) und bat mich, den Bericht für die Homepage von DÊ zu übersetzen. Der Name des Reporters Onnik Krikorian war mir bereits bekannt, hatte ich im DÊ-Forum doch schon zuvor auf seine hervorragende Fotoreihe über eine êzîdische Bestattung in Armenien aufmerksam gemacht.

Als ich nun nach jener Übersetzungsarbeit weiter durch Onniks Homepage surfte, sah ich die vollständigen Interviewtexte, die er für den IWPR-Beitrag genutzt hatte, darunter zwei Interviews mit Dr. Christine Allison, in deren großer wissenschaftlichen Arbeit über die mündliche Überlieferung von Êzîden in Irak ich schon im vergangenen Jahr anlässlich eines Besuches „The Yezidi Oral Tradition in Iraqi Kurdistan“ bei Mala Êzîdiya in Oldenburg geschmökert hatte. Siehe dazu auch die Buchbesprechung von Dr. Christiane Bulut auf dieser Homepage.

Da hatte ich also eine kapitale Rosine für diese Ausgabe meiner Kolumne gefunden. Und ein Blick in die weiteren Interviews von Onnik Krikorian zeigte mir, dass der Konflikt, über den er jetzt für IWPR berichtete, schon eine ca. 15-jährige Geschichte hat. Beim Sichten dieses Materials fiel mir auf, dass es sich wirklich um ein sensibles Problem handelt, das aber nicht durch Totschweigen gelöst werden kann. Es sind damit auch historisch-politische Fragen eher verknüpft als religiöse.

Und es ist auch mit der Geschichte der Armenier seit Ende des 19. Jahrhunderts verknüpft sowie mit dem Verhältnis der armenischen Bevölkerung nicht nur zur türkischen, sondern auch zu wesentlichen Teilen der kurdischen Bevölkerung während der letzten 30 Jahre (1893 – 1923) des Osmanischen Reiches. Die Aufregung in der Türkei während der letzten Wochen im Zusammenhang mit der neuen Genozid-Gesetzgebung in Frankreich macht meines Erachtens auch für die in anderen Staaten lebenden Kurden einschließlich der Êzîden eine objektive und möglichst vorurteilsfreie Beschäftigung mit jener Zeit und ihren politischen Gegebenheiten notwendig.

Ich setzte mich darum umgehend mit Onnik Krikorian in Verbindung und bat darum, dass wir Arbeiten von ihm in Deutsch bzw. zweisprachig auf unserer Website veröffentlichen dürfen, dass er sich unseren LeserInnen vorstellt und erläutert, warum und wie er sich für die Angelegenheiten der Êzîden in Armenien interessiert. Hier ist seine Antwort:

Mein Interesse an der êzîdischen Gemeinschaft (in Armenien) begann 1997 nach meiner Rückkehr aus der Türkei, wo ich an einigen Artikeln über Kurden und Menschenrechte im Südosten des Landes arbeitete. Nachdem ich mit dem kurdischen Menschenrechtsprojekt (KHRP) in London Kontakt aufgenommen hatte, fragten sie mich, ob ich an einem Besuch in Armenien für 10 Tage interessiert wäre, um die Menschenrechtssituation der kurdischen Minderheit dort zu untersuchen. Da ich seit 1994 nicht in Armenien bzw. dem umstrittenen Gebiet von Nagorno Karabakh gearbeitet hatte, nahm ich diese Chance wahr.

Weil aber die meisten muslimischen Kurden Armeniens gemeinsam mit der Azeri-Bevölkerung der Republik das Land zu Beginn des Karabakh-Konflikts verlassen hatten, lief das in der Realität auf eine Untersuchung der Lage der êzîdischen Minderheit hinaus. In Armenien gibt es innerhalb der êzîdischen Minderheit Uneinigkeit darüber, ob sie ethnisch betrachtet Kurden sind oder nicht. Der eine Teil der Gemeinschaft behauptet, sie seien eine eigenständige Volksgruppe, während die anderen meinen, sie seien Kurden, die der êzîdischen Religion angehören.

Während meiner Arbeit in Armenien veranstaltete im Juni 1998 das dortige Außenministerium mit Unterstützung der UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) eine Konferenz über nationale Minderheiten. Dabei wurde mir ein Job bei der UN-Vertretung in Jerewan angeboten, den ich annahm. Im Oktober 1998 siedelte ich deshalb nach Armenien über. Die meisten der mir bekannten Diaspora-Armenier rieten mir, nicht über die Êzîden in Armenien zu schreiben, aber das Schicksal führte mich wieder auf dieses Thema. Bald nach meiner Ankunft in Armenien floh Abdullah Öcalan nach Rom und einige Êzîden protestierten vor dem UN-Gebäude in Jerewan zu seiner Unterstützung.

Angesichts dieser Nachrichtenlage berichtete ich über dieses Thema für „Radio Freies Europa / Radio Liberty“, legte dann aber den Schwerpunkt meiner Arbeit auf soziale und politische Themen in Armenien. Aber 2004 fragten einige Wissenschaftler wie Robert Langer, Christine Allison und Nahro Zagros bei mir an, nachdem sie meine Interviews aus dem Jahr 1998 gelesen hatten. Damit war ich wieder damit befasst, über Êzîden zu schreiben und zu fotografieren. Weil es eigentlich langweilig schien, nur über das armenische Staatsvolk zu berichten, ergriff ich gern die Chance, mich auf die größte ethnische Minderheit der Republik einzustellen.

Während dieser Zeit war ich mir sehr bewusst, dass das Identitätsthema für die Êzîden Armeniens sehr gefühlsbetont ist, und im Gegensatz zu den meisten dortigen Journalisten glaube ich, dass die Definition der eigenen Identität jedem Einzelnen selbst überlassen sein sollte. Allerdings ist die Uneinigkeit innerhalb der êzîdischen Minderheit in Armenien belastend, weil sie in vieler Hinsicht irgendwie künstlich aufgebauscht zu sein scheint, wenn einige Gruppen sogar so weit gehen zu behaupten, dass die êzîdische Sprache für ethnische (nicht-êzîdische) Kurden unverständlich sei und umgekehrt. Deshalb glaube ich, als Journalist verpflichtet zu sein, die Situation weiter zu erforschen und zu beobachten.

Darum habe ich auch immer die wortgetreue Niederschrift aller meiner Interviews mit Êzîden, Kurden, Amtspersonen und Wissenschaftlern auf beiden Seiten der Zwistigkeit öffentlich abrufbar gemacht in meinem Blog und auf der Website des Armenien News Network – Groong.

A friend at Dengê Êzîdiyan informed me about an interview with Dr. Christine Allison that had just appeared on the IWPR-website (IWPR = institute of war & peace reporting) asking me to translate the piece for publication on their homepage. I was already familiar with the name of Onnik Krikorian since I reported some time before about his extraordinary photo-report about a Yezidi funeral in Armenia.

After finishing that translation I continued surfing through Onnik's website where I found all the interviews he used for that report including two interviews with Dr. Christine Allison. During a former visit to Mala Êzîdiyan in Oldenburg I had already peered through her scientific work "The Yezidi Oral Tradition in Iraqi Kurdistan", cf. the review by Dr. Christiane Bulut on our homepage.

Thus I found a veritable raisin to peck for this issue of my column. And looking through other interviews by Onnik Krikorian showed that the conflict he reported for IWPR has been ongoing for about 15 years. Becoming acquainted with the material I realized that there is really a sensitive problem which cannot be solved by keeping silent. It is more connected to historical/political than to religious issues.

And it is deeply connected with the historical situation of Armenians since the late 19th century, also with relations of the Armenian population not only concerning the Turkish population but also to significant portions of the Kurdish population during the last 3 decades of the Ottoman Empire (i.e. approximately 1893 – 1923). I think the recent uproar throughout Turkey over the new genocide-laws in France gives reason for Kurds, both in Armenia as in other countries to review that time with the utmost objectivity and without any trace of prejudice.

Therefore I contacted Onnik Krikorian, and I asked for permission that we may publish some of his reports in German or bilingual in this website. Also that he might introduce himself and explain why he is interested in the situation of Yezidis in Armenia. Here is what he wrote to me:

My interest in the Yezidi community came about by chance after returning from Turkey in 1997 where I worked on a few stories on human rights and the Kurds in the South East of the country. After making contact with the Kurdish Human Rights Project (KHRP) in London they asked me if I would be interested in visiting Armenia for 10 days to examine the human rights situation of the Kurdish minority there. As I hadn't worked in Armenia since 1994, and more specifically the disputed territory of Nagorno Karabakh, I jumped at the chance.

However, as most of Armenia's Moslem Kurds had left along with the Republic's Azerbaijani population at the start of the Karabakh conflict, this really meant examining the situation of the Yezidi minority and here the problem of identity emerged. In Armenia there is a division among the Yezidi minority as to whether they are ethnic Kurds or no. One side of the community says they are a separate ethnic minority whereas the other says they are Kurds who follow the Yezidi religion.

While working in Armenia in June 1998 I attended a UNDP / Ministry of Foreign Affairs Conference on National Minorities and was offered a job with the United Nations in Yerevan. I accepted and moved to Armenia in October 1998. Most Armenians in the Diaspora I knew advised me to steer clear of writing on the Yezidis in Armenia, but fate was to push me back to this subject. Soon after I arrived in Armenia Abdullah Ocalan fled to Rome and some Yezidis protested outside the UN Building in Yerevan in his support.

Faced with a news story I covered the issue for Radio Free Europe / Radio Liberty, but then started to focus on social and political issues in Armenia. However, in 2004 various academics working on the Yezidi minority in Armenia such as Robert Langer, Christine Allison and Nahro Zagros contacted me after reading my interviews from 1998. Thus, I was brought back to writing and photographing Yezidis here. As the virtually mono-ethnic nature of Armenian society can get tedious after a while, the chance to immerse myself in the Republic's largest ethnic minority was welcomed.

Throughout this time I have been well aware that the issue of identity for Armenia's Yezidis is a very sensitive matter, and unlike most local journalists, I do believe that is up to each individual to define themselves. However, the division within the Yezidi minority in Armenia is troublesome because in many senses, it seems somewhat artificial with some factions even going so far as to say that the Yezidi language is unintelligible to ethnic Kurds and vice-versa. As such, I feel I have some kind of obligation as a journalist to continue to research and monitor the situation.

Because of this I have always made available the full transcripts of all my interviews with Yezidis, Kurds, officials and academics on both sides of the divide on my blog and on the website of the Armenian News Network – Groong. The issue is unfortunately too sensitive not to do otherwise, especially in a country where the main reason for this divide appears to be political.

Interview with Dr. Christine Allison, Institut National des Langues et Civilisations Orientales (INALCO), Paris. France. June 2006

ONNIK KRIKORIAN (OK): This is your second visit to Armenia?

CHRISTINE ALLISON (CA): This is my third visit to Armenia, but my second for field work to Ortachiya. That's its official name now. It means `mid-mountain' in Kurmanji [Kurdish].

OK: We've come to a Yezidi festival where everyone is paying their respects to relatives that have died. Is this festival always held on this date, and is it specific to this region?

CA: It's specific to this region. The Yezidis in Iraq observe it at their New Year, which is in April, but there are several dates in the Caucasus. In this village it's today, while in other villages it's in September.

OK: Is this a specifically Yezidi or Kurdish festival?

CA: It's a specifically Yezidi festival, yes.

OK: The women are singing laments?

CA: That's a common Kurdish thing, and laments are alive among the Yezidi and Kurds in Iraq although every region has its own individual style.

OK: What sort of thing are people singing about?

CA: Well, the ones I've heard today are all very personal. The wife of the man that had died at the age of 39 was lamenting, `why did you leave us?' and then an aunt came and sang something more formed, musical and sorrowful which was something like `Why did you leave. It's unfair. You left your wife and two little daughters.'

OK: What do the Yezidi believe happens to them when they die?

CA: That's something I'm not sure about here because Yezidis are supposed to believe in going to heaven or paradise, the Zoroastrian `Behest,' if they're good, but there is also some kind of Yezidi belief in reincarnation. Clearly, those two ideas don't go together, but I'm not sure what the view on reincarnation is here, although people appear to be wishing their souls well in the hereafter. That's not something I've come across in Iraq.

OK: What are you going to do with your research?

CA: I'm primarily interested in memory in this village, and the fact that people feel it important to bury their relatives here, and even if they've left the village and to come back regularly.

OK: I've noticed quite a few Georgian number plates here.

CA: In the case of this family [points to group of people], half have come from Georgia and the other half are from Moscow. And in the case of the family I'm staying with, some have come from Georgia, but there was a sister-in-law that was supposed to have come from Irkutz. In fact, they went to meet her at the airport last night, but it turned out she couldn't get any further than Krasnodar because of problems with her passport.

OK: So the Yezidi really take this event very seriously.

CA: Yes, they do. I was speaking to the father in the family I'm staying with, and he said that people come every year. I said that it must be very expensive, or dear, and he responded by saying yes, it is, but our dead are also very dear.

OK: You're researching the oral history traditions of the Kurds, and you're in Ortachiya now. What have you discovered so far?

CA: This is part of that research, and what interests me specifically is how folklore becomes history. The Kurds in Turkey especially feel that they haven't had an official history, and they know that a lot of their folkloric songs are about events in tribal times which have been transmitted quite well, but sometimes you see attempts to write historical novels use those same songs as factual sources. Of course, it's almost impossible to write a definitive
modern-style history using those sources.

OK: How important have publications such as Riya Taza been in this context in Armenia? It's the oldest surviving Kurdish-language newspaper in the world, and is based here.

CA: Riya Taza is important because here we don't have quite the same picture as we do with the Kurds in Turkey. In some ways, they're more in touch with their past here in Armenia, and they've been studying it for a long time. One thing that I've noticed here, though, with the literary production from the period of the Soviet Union, has been what I would call works of memory. They're about the history of people's families or reconstructions of historical events.

There's no doubt that this is the largest center for Kurmanji folklore studies ' here in Armenia, as well as other places in the former Soviet Union. Essentially, all the people doing that work were from here, and mostly Yezidis as well. Riya Taza is part of that ' to have a real Kurmanji intelligentsia, and they really did have one. In Turkey they just can't do it without falling back on Turkish all the time. They're so much in the Turkish mold.

OK: How long will your research last?

CA: It will be going on for a couple of years because I want to build a memory web site about the village, and I hope that people from this community will find it useful.

OK: Why this village?

CA: Because I had an entry into this village. It was purely by chance, although Aparan interests me anyway because these villages have been here since the 1820s. A lot of the other villages have only been here since 1917-8. These villages have been here longer, and there's still this very strong memory of those desperate battles. You know, the Sardarabad battle when the Turkish army went around the mountain two ways. If you go to Sardarabad you'll find a plaque about Jahangir Ahar and it tells of the role he played, and also about Youssef Bek. Jahangir Ahar is buried somewhere in Russia because he ended up in exile, but Youssef Bek is buried in Shamiram.

OK: So when you're conducting your research, you're picking up history such as this?

CA: Well, because I'm interested in discourses of memory ' what some people call defining events ' this 1917-8 thing is always important for everybody because even though the village was already here, there was this big battle. In some villages, for example, they remember the Moslems that used to live in the newer villages.

It's all at quite an early stage, but the web site is part of my work, and the idea is to make it accessible to people from the community.

Interview with Dr. Christine Allison. October 2006

ONNIK KRIKORIAN (OK): In what capacity are you researching the Yezidi in Armenia, and what are you specifically interested in?

CHRISTINE ALLISON (CA): I am lecturer in Kurdish at Inalco and am affiliated to the CNRS, which is the scientific research organization in France. I have researched Kurdish folklore in the past. My doctorate was on oral traditions among Yezidis in Iraq, and I am now writing a book about discourses of memory amongst Kurds in general` in Kurdistan and the Diaspora.

As a case study I am working on a small-scale project on discourses of memory in a village in Aparan [in Armenia]. It will involve creating a memory website about the village in cooperation with the people living there, and I hope that this will be used by people from the village now living in other parts of the former Soviet Union, Europe and elsewhere. Fortunately, for the terms of my research, the inhabitants of the village consider themselves to be Kurdish.

OK: What has been your experience regarding the division of the Yezidi regarding Kurdish and non-Kurdish identity. Have you encountered it and in your opinion, to what extent does it appear to be evident?

CA: I have met more people on the 'Kurdish' side and when I first came across this several years ago I thought it was a 'little local difficulty' knowing how the Yezidi identity in Iraq has been variously officially defined as 'Arab' under the Ba'athists in the 1970s, then 'Kurdish' under the Kurds, and according to Ocalan, they were Zoroastrians, I could see the whole issue was a political football and the Yezidis, as a colourful folkloric sort of group were exploited in good Orientalist fashion by everybody.

What I can say as an outsider is that with the exception of two villages in Iraq they speak Kurmanji Kurdish, their verbal and material culture is typical of Kurdistan and indeed pretty much identical with non-Yezidi Kurds, and their religion is not found among people who consider themselves to be Arabs, Turks, Persians or Armenians. Those are the facts. Identity of course, is not about objective facts, but is more complicated and variable, and what seems to be important is that people define their identity freely for themselves.

However, I am not at all sure that this is the case in Armenia. For example, nobody seems able to tell me how the famous census was carried out. I've heard all sorts of rumors in Armenia, such as people on different sides often don't speak to each other, but it was in the community in Russia that I really began to understand how noxious this whole question is in the Yezidi community. There are many stories about intimidation of people who refused to say they weren't Kurds, for instance.

The Russian Yezidis say there is not open discrimination and intimidation of Yezidis now but there was a peak of it in the 1990s, and many people use the example of Dr. Ibo who died under mysterious circumstances at about that time. In Armenia I also heard him referred 1o. Anyway the problem is, as so many people say there, whether people consider 'Yezidi' to be an ethnicity or a religion. For Armenians the two go together, but not for Kurds.

I came away from my visit to Russia much more aware of how deeply this divide is hurting the community which already feels small and threatened by macro-economic and political forces beyond its control. And as I've said before on the subject of education I think people are less inclined to send their kids to school not only because of poorly-qualified teachers, but also because of this general uncertainty.

I think it's insecurity about the future which plays a role in keeping girls at home, people are becoming more conservative because of this.

In lots of communities where people feel insecure, the control of women and girls is a knee-jerk response. It's not just because of the Yezidis' traditionalism, which after all wasn't so much in evidence during the Soviet period when there was some sort of economic and cultural security.

Interview mit Dr. Christine Allison, Institut National des Langues et Civilisations Orientales (INALCO), Paris. Frankreich. Juni 2006 durch Onnik Krikorian

OK: Ist dies Ihr zweiter Besuch in Armenien?

CA: Dies ist mein dritter Besuch in Armenien, aber mein zweiter für Feldstudien nach Ortachiya. Das ist der heutige offizielle Name. Er bedeutet „Mittlerer Berg“ in Kurmanji.

OK: Wir haben ein êzîdisches Fest besucht, wo alle den verstorbenen Verwandten die Ehre erweisen. Wird dieses Fest immer an diesem Tag gefeiert, und ist es typisch für diese Region?

CA: Es ist typisch für diese Region. Die Êzîden in Irak feiern es zusammen mit dem Neujahrsfest im April, aber im Kaukasus gibt es eine andere Datierung. In diesem Dorf wird es heute gefeiert, in anderen Dörfern im September. 

OK: Ist es ein besonderes êzîdische oder ein kurdisches Fest?

CA: Es ist im Besonderen ein êzîdisches Fest, sicher.

OK: Die Frauen singen Klagelieder?

CA: Das ist ganz allgemein kurdischer Brauch, und Klagelieder sind allgemein üblich bei Êzîden und Kurden in Irak, obwohl jede Region ihren eigenen und besonderen Stil pflegt.

OK: Worüber singen die Leute?

CA: Nun, was ich heute gehört habe, war alles sehr persönlich. Da klagte die Witwe des Mannes, der im Alter von 39 Jahren starb, „Warum hast Du uns verlassen?“ und dann kam eine Tante und sang etwas, das ihre Sorge auch musikalisch mehr ausformulierte, ungefähr wie: „Warum bist Du fort gegangen, es ist unfair, Du ließest Deine Frau und zwei kleine Töchter zurück.“

OK: Was geschieht nach dem Glauben der Êzîden, wenn sie sterben?

CA: Darüber bin ich mir hier nicht recht klar, weil Êzîden glauben sollten in den Himmel oder ins Paradies zu gehen, ins zarathustrische „Behest“, falls sie gut waren, aber es gibt auch eine êzîdische Art des Glaubens an eine Wiedergeburt. Diese zwei Ideen lassen sich natürlich nicht miteinander vereinbaren, aber ich bin mir nicht sicher, welche Ansicht von Wiedergeburt hier vorherrscht, obwohl es scheint, dass die Menschen den dahingegangenen Seelen gute Wünsche fürs Jenseits mitgeben. Dem bin ich in Irak nicht begegnet.

OK: Wie werten Sie Ihre Forschungsergebnisse aus?

CA: Ich bin in erster Linie interessiert an den Erinnerungssträngen in diesem Dorf, an der Tatsache, dass die Leute es wichtig finden, ihre Verwandten hier zu bestatten, und sie kommen sogar regelmäßig hierher zurück, selbst, wenn sie das Dorf verlassen haben.

OK: Ich habe recht viele georgische Autokennzeichen hier bemerkt.

CA: Was diese Familie angeht (zeigt auf eine Menschengruppe): Die eine Hälfte kam aus Georgien, die andere aus Moskau. Im Fall der Familie, bei der ich wohne, kamen einige aus Georgien, aber eine Schwägerin sollte aus Irkutsk kommen. Sie wollten sie gestern Abend am Flughafen abholen, aber es stellte sich heraus, dass sie wegen eines Passproblems nur bis Krasnodar gekommen war.

OK: Also nehmen die Êzîden diesen Anlass sehr ernst.

CA: Ja, so ist es. Ich sprach mit dem Vater in der Familie, wo ich zu Gast bin, und er sagte, dass die Leute jedes Jahr kommen. Ich meinte, das wäre doch sehr teuer, und er antwortete, ja, das sei so, aber unsere Verstorbenen sind uns auch sehr teuer.

OK: Sie erforschen die mündlichen Überlieferungen der Kurden, und jetzt sind Sie in Ortachiya. Was haben Sie bisher herausgefunden?

CA: Dies hier ist Teil des Forschungsgebietes, und was mich besonders interessiert ist, wie wird Folklore zu Geschichte. Besonders die Kurden in der Türkei fühlen, dass sie nie eine offizielle Geschichte hatten, aber sie wissen, dass viele ihrer folkloristischen Lieder sich um Ereignisse aus der Zeit der Stammesgesellschaft drehen, die ziemlich genau überliefert wurden. Aber manchmal versuchte man auch um diese Lieder herum historische Erzählungen aufzuschreiben und die Lieder als Tatsachen-Quellen zu nutzen. Natürlich ist es fast unmöglich, aufgrund dieser Quellen eine moderne Geschichtsschreibung zu unternehmen.

OK: Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Veröffentlichungen wie „Riya Taza“ in Armenien? Es ist die älteste noch aktive kurdisch-sprachige Zeitschrift der Welt, und sie erscheint hier.

CA: „Riya Taza“ ist wichtig, weil wir hier ein anderes Verständnis haben als mit den Kurden in der Türkei. Anders ausgedrückt: sie sind hier in Armenien mehr mit ihrer Vergangenheit verbunden und sie haben sie seit langem studiert. Ich habe hier etwas bemerkt, das wohl mit der Literaturproduktion während der Sowjetzeit zu tun hat, und was ich Erinnerungsarbeiten nennen möchte. Es geht da um die Geschichte der Familien oder um die Rekonstruktion historischer Ereignisse.

Zweifellos ist das umfassendste Zentrum für Kurmanji-Volksdichtung hier in Armenien wie auch an anderen Orten in der früheren Sowjetunion. Im Wesentlichen stammen alle Leute, die auf diesem Feld arbeiten, von hier, und auch die meisten Êzîden darunter. Riya Taza ist ein Teil davon, von einer Suche nach einer wirklichen Kurmanji-Intelligenzschicht, und die gibt es wirklich. In der Türkei müssen sie dabei immer wieder ins Türkische zurückfallen. Sie sind so stark eingebunden in die türkische Denkstruktur.

OK: Wie lange wird Ihre Forschungsarbeit dauern?

CA: Sie wird noch einige Jahre weitergehen, weil ich eine Erinnerungs-Website für dieses Dorf aufbauen möchte, und hoffe, dass die Menschen in dieser Gemeinde das nützlich finden.

OK: Warum dieses Dorf?

CA. Weil ich Zugang zu diesem Dorf hatte. Es war eher Zufall, obwohl mich (die Region) Aparan interessiert, weil diese Dörfer seit dem 3. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bestehen. Viele andere Dörfer hier wurden erst nach 1917-18 besiedelt. Diese Dörfer bestehen aber länger und dann gibt es diese sehr starke Erinnerung an jene verzweifelten Kämpfe.

Sie kennen sicher die Schlacht bei Sardarabad, als die türkische Armee den Berg mit einer Zangenbewegung umging. Wenn Sie nach Sardarabad kommen, finden sie dort eine Gedenktafel über Jahengir Ahar, und über seine Rolle in der Schlacht, und auch über Youssef Bek. Jahngir Ahar wurde irgendwo in Russland begraben, weil er im Exil starb, aber Youssef Bek wurde in Shamiram begraben.

OK: Wenn Sie also forschen, lernen Sie die Geschichte auf diese Weise kennen?

CA: Nun, ich interessiere mich für Gespräche über Erinnerung „was einige Leute als bestimmende Ereignisse bezeichnen“, dieses Datum 1917-18 ist jedes Mal für jeden wichtig, denn, obwohl das Dorf ja schon bestand, war da diese große Schlacht. In einigen Dörfern erinnern sie sich auch an die Muslime, die in den neueren Dörfern lebten.

Es ist alles noch in einem Anfangsstadium, aber die Website ist Teil meiner Arbeit, und die Idee dahinter ist, sie für die Menschen dieser Gemeinde zugänglich zu machen.

Interview mit Dr. Christine Allison. Oktober 2006

OK: In welcher Eigenschaft erforschen Sie die Êzîden in Armenien und woran sind Sie besonders interessiert?

CA: Ich bin Dozentin für Kurdisch am Institut Inalco und gehöre zum CNRS, der wissenschaftlichen Forschungsorganisation Frankreichs. In der Vergangenheit habe ich kurdische Folklore untersucht. Meine Dissertation war über die mündlichen Überlieferung der Êzîden in Irak, und ich schreibe nun ein Buch über Erinnerungsgespräche unter Kurden allgemein in Kurdistan und in der Diaspora.

Als Fallstudie arbeite ich an einem kleinteiligen Projekt über Erinnerungsgespräche in einem Dorf im Gebiet Aparan in Armenien. Dafür werde ich eine Erinnerungs-Website über das Dorf erstellen gemeinsam mit den dort lebenden Menschen, und ich hoffe, diese wird auch genutzt werden von Menschen dieses Dorfes, die jetzt in anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion, Europa und anderswo leben. Zum Glück – in Bezug auf meinen Untersuchungsauftrag – verstehen sich die Einwohner dieses Dorfes als Kurden.

OK: Wie waren Ihre Erfahrungen bezüglich der Trennung der Êzîden, was die kurdische oder nicht-kurdische Identität angeht? Sind Sie dem begegnet und wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach aus?

CA: Ich begegnete mehr Leuten von der „kurdischen“ Seite, und als ich vor einigen Jahren erstmals damit konfrontiert wurde, verstand ich es als „kleines örtliches Problem“, weil ich wusste, dass die êzîdische Identität in Irak unter der Baath-Regierung in 1970er Jahren verschiedentlich offiziell als „arabisch“ definiert wurde, dann „kurdisch“ unter kurdischer Verwaltung und nach Öcalan wären sie Zarathustrier. Ich konnte erkennen, dass die ganze Angelegenheit eine Art politischer Fußball war, und die Êzîden wurden als eine Art bunter Folkloregruppe in üblicher Orientalistenweise von allen ausgebeutet.

Was ich als Außenseiterin dazu sagen kann, ist, dass sie mit Ausnahme von zwei Dörfern in Irak das Kurmanji-Kurdisch sprechen, ihre verbale und materielle Kultur ist typisch für Kurdistan und wirklich ziemlich gleichlaufend mit der der nicht-êzîdischen Kurden. Und ihre Religion ist nicht zu finden bei Menschen, die sich als Araber, Türken, Perser oder Armenien betrachten. Das sind die Tatsachen. Identität befasst sich aber natürlich nicht mit objektiven Fakten, sondern ist komplizierter und vielfältiger, und was wichtig scheint, ist, dass Menschen ihre Identität für sich selbst frei definieren.

Allerdings bin ich mir überhaupt nicht sicher, dass dies auch in Armenien so ist. Zum Beispiel kann mir niemand sagen, wie jene berühmte Volkszählung ausgeführt wurde. Ich habe in Armenien vielerlei Gerüchte gehört, dass etwa Leute aus den unterschiedlichen Seiten nicht miteinander reden, aber erst in einer Gemeinde in Russland begriff ich, wie schädlich diese ganze Angelegenheit für die êzîdische Gemeinschaft ist. Es gibt z.B. viele Geschichten über Einschüchterung von Leuten, die sich weigerten zu sagen, sie wären keine Kurden.

Die russischen Êzîden sagen, dass es zur Zeit keine offene Diskriminierung und Einschüchterung von Êzîden gebe, es hätte aber einen Höhepunkt in den 1990er Jahren gegeben, und viele Leute führten das Beispiel von Dr. Ibo an, der in jener Zeit unter mysteriösen Umständen starb. Auch in Armenien hörte ich Erwähnungen über ihn. Das Problem jedenfalls ist, so sagen hier viele Leute, ob die Menschen „Êzîdi“ als Nationalität verstehen oder als Religion. Für Armenier gibt es da keinen Unterschied, wohl aber für Kurden.

Nach der Rückkehr von meinem Besuch in Russland wurde ich sensibler dafür, wie tief dieser Zwiespalt die Gemeinschaft verletzt, die sich eh als klein versteht und bedroht von makro-ökonomischen und politischen Kräften jenseits ihrer Kontrolle. Und wie ich schon zuvor in Bezug auf Erziehung sagte: Ich denke, die Leute sind weniger geneigt ihre Kinder zur Schule zu schicken, nicht nur wegen wenig qualifizierter Lehrer, aber auch wegen der allgemeinen Verunsicherung.

Ich denke, das ist Verunsicherung über die Zukunft, was eine Rolle spielt, wenn die Mädchen zu Hause bleiben, die Leute werden deswegen konservativer.

In vielen Gemeinden fühlen sich die Leute unsicher, die Kontrolle über Frauen und Mädchen ist eine unüberlegte Hauruck-Reaktion. Das geschieht weniger wegen der Traditionsverbundenheit der Êzîden, die schließlich während der Sowjet-Ära nicht so offensichtlich war, als eine Art ökonomischer und kultureller Sicherheit herrschte. 

Quelle / Source

Übersetzung aus dem Englischen / translation by: Karl G. Mund, Yeziden-Colloquium.

 

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