Rosinenpicker Nr. 23, vom 02. Dezember 2006

von Karl G. Mund

 

Der Rosinenpicker konnte dieser Tage einen Teil der Umsetzung der nun fast zweijährigen Arbeit des Redaktionsteams besichtigen. Das war möglich, weil es eben eine gute Zusammenarbeit mit Mala Êzîdiya in Oldenburg gibt und Ilyas Yanc seine Jungs und Mädels vom "FC Medya" zu einem Umweg über Diepholz und damit einer je einstündigen Fahrzeitverlängerung überreden konnte, wo sie den Rosinenpicker aufpickten und nach Celle mitnahmen zur Premiere des Theaterstücks "Schöne Neue Heimat". Wir hatten ja auch eine Einladung erhalten, in der zu lesen war, dass unsere Website zur Erarbeitung dieses Stückes mit genutzt wurde.

Um den Werdegang dieses Theaterereignisses vorzustellen, soll zuerst ausführlich aus dem Programm-Flyer zitiert werden:

"Drei Monate lang trafen sich 14 Mädchen regelmäßig einmal die Woche mit yezidischen Frauen zum Erzählcafé. Die Mädchen fragten, die Frauen erzählten:

Was habt Ihr erlebt auf Eurem Weg vom kurdischen Dorf in der Türkei in die Stadt Celle? Wie habt Ihr früher gewohnt und gelebt? Wie waren und wie sind Eure Begegnungen mit den Deutschen?

In den ersten Minuten der Begegnung waren alle zunächst verlegen und skeptisch. Nach und nach tauten beide Seiten auf: Dann wurde schon mal ein Lied gesungen, eine CD eingelegt und gemeinsam getanzt. Die Frauen, vorwiegend aus der yezidischen Frauengruppe 'Nu Jin', wunderten und freuten sich über das Interesse der Mädchen und erzählten schließlich auch Persönliches von der Liebe, von Heimatgefühlen und Fremdsein. Und so hörten die Mädchen von Armut und Verfolgung, von Gastarbeierinnen und Flüchtlingen, von der Freiheit in Deutschland und dem Gefühl, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. Sie erfuhren von Konflikten zwischen den Generationen und Kulturen und von der Entdeckung einer unterdrückten Religion. Mit den Eindrücken im Gepäck starteten die Mädchen das Experiment, aus den Geschichten ein Theaterstück entstehen zu lassen.

An vier Wochenenden fanden intensive Theaterwerkstätten statt. Daraus ist SCHÖNE FREMDE HEIMAT entstanden. Es gab zu Beginn der Arbeit kein fertiges Stück, das den Mädchen vorgesetzt wurde und für das sie nur die Texte hätten lernen müssen. Über Improvisationen näherten sie sich den Erzählungen und entwickelten Szenen, aus denen nach und nach das Stück zusammengesetzt wurde. Immer wieder waren auch die yezidischen Frauen dabei, beobachteten die Szenen und ergänzten."

Ein etablierter Theaterkritiker würde jetzt vielleicht aufzählen, welche Haare er in der Suppe gefunden hätte. Der Rosinenpicker hatte sich aber in erster Linie am munteren Spiel der Mädchen erfreut, vor allem auch an der lebendigen Körpersprache, weil vieles durch das Mittel der Scharade, pantomimische Einlagen zu den Zuschauern herübergebracht wurde, die das auch schnell verstanden und mehrfach mit Szenenapplaus belohnten. Bedenkt man die Kürze der Vorbereitungszeit und auch die Tatsache, dass hier keine schulische Unterrichtseinheit dargeboten wurde, so waren einige plakative Szenen oder auch gespielte Klischees sicher unvermeidlich. Aber der Schlussapplaus mit orientalischen Freudentrillern war eine verdiente Belohnung für eine gelungene Arbeit.

Der Rosinenpicker hat mit unverhohlener Freude vor allem festgestellt, dass der berühmt-berüchtigte pädagogische Zeigefinger auffällig fehlte. Und nicht nur deshalb ist zu wünschen, dass dieses schöne Beispiel aus Celle auch andernorts und möglichst bald Schule macht.

 

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